Königsspringer Hamburg gegen Tempo Göttingen - Ein Reisebericht

"Wir waren alle vorher überzeugt davon, dass wir das Spiel gewinnen. So war auch das Auftreten unserer Mannschaft - zumindest in den ersten zweieinhalb Minuten..."
(Peter Neururer)

Am dritten Spieltag mussten Göttingens Schachspieler die zweite Niederlage der noch jungen Saison hinnehmen. Mit 3,5-4,5 unterlagen sie beim Aufsteiger Königsspringer Hamburg. Damit rutschte das Team auf den vorletzten Tabellenplatz der zweiten Bundesliga ab. Tempo Göttingen hat die Möglichkeit vertan, gegen die Hansestädter wichtige Punkte im Kampf gegen den Abstieg zu sammeln.

Die acht Schachspieler der ersten Garde von Tempo Göttingen erlebten ein trübes Wochenende. Sie scheiterten am Versuch, den nasskalten Sonntag durch einen Sieg gegen Hamburg aufzuheitern.

"Am 29. November kreuzt Tempos erste Garde die Klingen mit dem Schachklub Königsspringer Hamburg, die in Expertenkreisen als Abstiegskandidat gehandelt werden. Bleibt zu hoffen, dass Tempos Schachspieler die lange Heimreise nach Göttingen nicht erneut mit einer deftigen Niederlage im Gepäck antreten müssen..." Mit diesen Worten beendete ich den Zweitrundenbericht im Hinblick auf den dritten Spieltag.

Der Verlauf des Mannschaftskampfes nahm jedoch jeglichen Wind aus den Segeln der Hoffnung: Deftig war die Niederlage zwar nicht - enttäuschend aber ohne jeden Zweifel. Mit 3,5-4,5 mussten wir uns den Hansestädtern ganz knapp geschlagen geben. Die Rückreise traten wir nicht mit den beiden Mannschaftspunkten, die wir uns so sehnsüchtig herbeigewünscht hatten, an - sondern mit etwas viel Schwererem: Mit der Gewissheit, dass wir uns mitten im Abstiegskampf befinden!

Dabei hatte alles so planmäßig begonnen: Göttingen, Sonntag früh, sieben Uhr dreißig: 7 Schachspieler rasen - mehr oder weniger ausgeschlafen - zum Göttinger Bahnhof. Der ICE steht bereit, gen Norden zu fliegen. Der achte Spieler - Frank Sawatzki - hat nicht etwa verschlafen, sondern wird, da er in Hamburg wohnt, direkt anreisen. Einige Spieler beginnen, Gehirnnahrung zu sich zu nehmen, andere lesen. Und einige Strategen nutzten doch tatsächlich die Fahrtzeit dazu, sich auf ihre Gegner vorzubereiten...! Als ich den riesigen Ozean aus 20-zügigen Eröffnungsvarianten sehe, den meine Kameraden an diesem frühen Sonntag-Morgen aufs Brett zaubern, wird mir das alles zu viel: Ich schlafe ein! (Im übrigen stand doch meine Vorbereitung: „Auf 1.e4 plante ich 1. ...c5 und 1.d4 hätte ich mit dem starken 1. ...Sf6 beantwortet...“ ?) In etwa genauso pünktlich wie die riesige Uhr am Hamburger Hauptbahnhof waren wir, als wir das Königsspringersche Spiellokal betraten. Selbst zum Einblitzen hatten wir noch ein wenig Zeit. Jedes Wort wäre zu viel, das ich an dieser Stelle über das schachliche Niveau dieser Blitzpartien verlieren würde... Der Mannschaftskampf eröffnet, die Erwartungen gigantisch – schon beginnen die Denksportler, die Figuren auf die Schlachtfelder zu führen. Ein erleichtertes Aufatmen - das selbst die hölzernen Springer gespürt haben müssen – durchstrich den Raum, als auch Frank Sawatzki den Weg an sein Brett gefunden hatte.

Sein Debüt in der ersten Mannschaft feierte Michael Pietsch, dem durch die Absage von Lutz Petzold der Weg ins Team geebnet wurde. Die Zeit war reif geworden, nach zwei Caro-Kann-Siegen in der Landesliga auch in der 2. Bundesliga den Gegnern die Kniffe dieser Eröffnung zu präsentieren. Oder vielmehr: Seinen Gegnerinnen – schließlich saß Michael der Asiatin Karin Chin gegenüber. Nachdem Michael die Initiative übernommen hatte, verteidigte sie sich zäh und Michael kam - obwohl mehr möglich gewesen wäre – nicht über ein Remis hinaus. Und das, obwohl – oder gerade weil - er seiner Kontrahentin ganz charmant einen seiner neun Balisto-Schokoriegel angeboten hatte – den sie jedoch dankend ablehnte...

Golo Petzold gewann einen Bauern, nachdem er es nach überzeugendem strategischen Spiel geschafft hatte, seine weißen Springer auf c5 und e5 zu „parken“. Jedoch konnte sein Gegner im Endspiel aufgrund von Golos unglücklicher Figurenaufstellung eine Zugwiederholung herbeiführen. Nachdem auch Frank Sawatzki einen halben Punkt nach Hause – das nicht allzu weit vom Spiellokal entfernt liegen dürfte - bringen konnte, folgte der Schock: Nacheinander mussten wir mit ansehen, wie an den beiden Spitzenbrettern die Segel gestrichen werden mussten. Wahrscheinlich in dunkel-schwarzer Farbe, denn die Niederlage war nun fast schon besiegelt....Nachdem Alexander und Maarten ihren Gegnern die Hand zum Sieg reichen mussten, besaß auch Amir keine Chance mehr, seine Position zu halten.

Selbst die beiden Punkte von Jan Priebe und Timo Holloway, die ihre Partien - wenngleich sie zwischenzeitlich Gewinnmöglichkeiten ausließen - mehr oder minder souverän gewinnen konnten, vermochten die knappe Niederlage nicht mehr abzuwenden.

Nach ihrem Triumph begannen unsere Hamburger Gegner zu witzeln: "Es sieht ja fast so aus, als wenn uns der Klassenerhalt droht."

So erstaunt wie die Hamburger über ihren Sieg, waren wir Göttinger von der riesigen Menschenmenge, die uns auf dem Weihnachtsmarkt begegnete. Doch selbst der Geruch von Lebkuchen, Glühwein und gebrannten Mandeln vermochte die Schmach der Niederlage nicht zu verdrängen. Nachdem wir -wohlgemerkt ohne auch nur einen Tropfen Alkohol getrunken zu haben - die Orientierung auf dem riesigen Weihnachtsmarkt völlig verloren hatten, verschlug es uns ins Restaurant "Schweinske" im Hamburger Hauptbahnhof. War unsere Niederlage – wenngleich äußerst unangenehm – immerhin nicht wirklich deftig ausgefallen, so war es das Essen, das uns nun serviert wurde, umso mehr. Während wir uns etliche Frust-Kalorien hereinpfiffen, fuchtelten unsere 14 flinke Hände an den Figuren von Alexanders Mini-Schachbrett herum. Dass manche der vorgeschlagenen Züge auf dem 10x10-Zentimeter großen Schachbrett, das im Zentrum des riesigen Esstisches thronte, der Unübersichtlichkeit zugeschriebene Einsteller waren, interessierte uns in etwa genauso wenig wie die Tatsache, dass uns die Kellnerin für völlig verrückt halten musste...

Am übernächsten Sonntag steht die Begegnung gegen den auf Platz 5 rangierenden SK Berlin-Zehlendorf auf dem Spielplan. Und – auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Es bleibt zu hoffen, dass die Spieler davon verschont bleiben, die lange Heimreise erneut mit einer deftigen Niederlage im Gepäck antreten zu müssen...

Zu guter Letzt vielleicht noch einmal Lothar Matthäus:
"Wir dürfen jetzt nur nicht den Sand in den Kopf stecken."