Großmeister versperren Tempo Göttingen den Weg im Viertelfinale des DSB-Pokals

Zur Zwischenrunde des DSB-Pokals waren wir am 26. März nach Stadtilm eingeladen. Stadtilm? Ich hatte, wie üblich, keine Ahnung, aber unser immer zuverlässiger Mannschaftsführer, Reiseorganisator und Fahrer Carsten Tödter wußte Bescheid - Stadtilm liegt hinter Erfurt. Wie wohl öfter, desto kleiner der Ort, desto intensiver das Vereinsleben. Die SG Blau-Weiß Stadtilm hatte alles super organisiert, es gab mehr Zuschauer als bei unseren Mannschaftskämpfen und sogar der Bürgermeister war gekommen, um die Teilnehmer zu begrüßen.

Die Auslosung war gleich der spannendste Moment des Tages, denn die Stärke der vier teilnehmenden Vereine war ziemlich unterschiedlich. Einerseits gab es den ehemaligen deutschen Meister Porz, der mit vier Großmeistern gekommen war. Am anderen Ende befanden sich die Lokalmatadore, welche sich eher auf Augenhöhe mit unserer zweiten Mannschaft treffen könnten. Dazwischen gab es uns und einen Zweitligaverein aus Heidelberg, der aber keinenfalls seine besten Spieler aufgestellt hatte.

Zur Erleichterung durften wir zuerst gegen Stadtilm antreten. Mit viel Rücksicht auf die Nerven des Mannschaftsführers holte Alex schnell und überzeugend den ersten Punkt:

Alexander Markgraf – Marco Siebarth

1.e2-e4 c7-c5 2.Sg1-f3 e7-e6 3.d2-d4 c5xd4 4.Sf3xd4 Lf8-c5 5.Lc1-e3 Zum Glück hatten Alex und ich uns diese Variante noch vor kurzem angeschaut. Angeblich hatte der Nachziehende sich sogar speziell hierauf vorbereitet. 5...Dd8-b6?! 6.c2-c3! mit der Pointe Dxb2 7.Sd2 und Schwarz wird irgendwann mit Sb5 oder Sc4 erledigt. 6...Sb8-c6 7.Sb1-d2! Lc5xd4 8.Le3xd4 Sc6xd4 9.Sd2-c4 Db6-c7?! Besser, obwohl auch nicht gerade toll, war das Endspiel nach 9... Dc5 10.Dxd4 Dxd4 11.cxd4 10.Dd1xd4 f7-f6 11.Sc4-d6+ Ke8-e7 12.0-0-0


Nach zwölf Zügen hat Schwarz noch nichts entwickelt und der stolze Springer auf d6 dominiert die ganze Stellung. Ich kenne Spieler, die wegen geringerer Nachteile eine Partie aufgegeben haben. 12...Sg8-h6 13.e4-e5 b7-b6 14.Lf1-b5 Sh6-f7 15.Dd4-b4 Der einzige kleine Mangel, 15.De4! hätte den Ta8 gewonnen, da 15... Tb8 16. Sxc8+ Thxc8 17.Txd7+ noch schlimmer ist. Jetzt darf Schwarz noch ein bisschen zappeln. 15...Dc7-c5 16.Db4xc5 b6xc5 17.Sd6xc8+ Th8xc8 18.Td1xd7+ Ke7-f8 19.e5xf6 g7xf6 und Alex gewann in wenigen weiteren Zügen. 1 - 0

Amir und ich gewannen auch, aber nicht ganz so reibungslos. Amir benutze die Eröffnungphase um sich von einer anstrengenden Prüfungswoche zu erholen. Erst als er im Mittelspiel anfing, wirklich zu spielen, konnte er die Partie an sich ziehen. Ich selber hatte mich angesichts des soliden gegnerischen Aufbaus auf ziemlich provokatives Spiel eingelassen. Wie gut das war, ist mir noch nicht klar, zumindest reichte es aus, um meinen jungen Gegner zu verwirren. In der Zeitnotphase war er so freundlich, erst eine Qualität und dann eine ganze Figur einzustellen.

Beim Stand 3-0 war Henning nach lange nicht fertig. Er hatte mittlerweile ein Turmendspiel mit Mehrbauer erreicht, aber es war ein Doppelbauer und der Stadtilmer verteidigte sich zäh, also doch Remis.

SG Blau-Weiß Stadtilm- SC Tempo Göttingen½ : 3½
Marco Siebarth-Alexander Markgraf0 : 1
Raiko Siebarth-Maarten Solleveld0 : 1
Christian Schneider-Henning Silber½ : ½
Heinz Rätsch-Amir Rezasade0 : 1

Damit war das Viertelfinale erreicht. Es ist ein schöner Bonus, dass wir uns damit gleichzeitig für die Zwischenrunde des nächsten DSB-Pokals qualifiziert haben! Erwartungsgemäß hatte Porz die Heidelberger überzeugend geschlagen, sodass wir einen Tag später gegen die Kölner antreten durften. Aber welcher Bundesligaverein hat heutzutage noch Spieler aus seiner eigenen Stadt? Gewiß nicht Porz, mit Van Wely, Timman und Van den Doel betrug der Anteil niederländischer Legionäre sogar 75 Prozent! Vielleicht hatten die weiteren Niederländer in Kölner Dienst bereits andere Beschäftigungen, oder vielleicht fand der Sponsor vier Käseköpfe doch ein bisschen zu viel, auf jeden Fall ergänzte GM Rotstein diese Pokalmannschaft.

Zweifellos das erste (und möglicherweise auch das letzte) Mal in der Vereinsgeschichte, dass Tempo Göttingen gegen eine reine Großmeistermannschaft spielte! Obwohl Carsten die besten Vier unseres Vereins mobilisiert hatte, standen unsere elomäßigen Chancen gegen einen Schnitt von etwa 2590 natürlich nicht besonders gut. Dank guter Vorbereitung verlief die Eröffnungsphase gar nicht schlecht für uns, aber danach konnten wir leider doch nicht verhindern, dass sich die gegnerische Klasse durchsetzte.

Am Spitzenbrett traf ich Loek van Wely, momentan nach Giri der bestplatzierte niederländische Schachspieler.

Loek van Wely – Maarten Solleveld


Loek und ich spielten eine königsindische Variante, mit der wir uns schon früher mehrmals bekämpft hatten. Weiß hat einen Bauern geopfert, wofür er als Kompensation das Läuferpaar und eine aktivere Stellung hat. 19...Lc8-f5?! Hiermit wollte ich nicht so sehr den Mehrbauern behalten, sondern vielmehr die Schwächung g2-g4 provozieren. Dieser Plan beruht aber auf einer Fehleinschätzung, besser war 19... Ld7! 20.Sc3 Sf5 21.Dxe4 Sd4 22.Ld1 Lf5 23.De3 mit ausgeglichener Stellung. 20.h2-h3 c7-c6? Hier hatte ich einige sehr interessante Varianten mit 21.Sa7 Dd7! 22.g4 cxd5 23. gxf5 Sxf5 berechnet, welche sich leider als total irrevelant herausstelten ... 21.d5xc6! Se7xc6 22.Tf1-d1! Ai, damit hatte ich nicht gerechnet! Ich erwartete, nach 22.g4 Le6 23.Dxe4 d5 meine Bauernschwächen auflösen zu können (obwohl das nach 24.Dg2! noch nicht so einfach ist). Nach dem starken Textzug gerät mein Spiel jedoch in eine Sackgasse, denn Weiß kann einfach den Druck auf d6 erhöhen, während dem Schwarzen kein vernünftiger Plan zu Verfügung steht. 22...Dd8-e7 23.Ld2-c1 Tf8-f7 24.Lc1-a3 Tb8-d8 25.Ta1-a2 De7-f6 26.Ta2-d2 Tf7-d7 27.De3-b6 Sc6-e7 28.g2-g4 Se7-c8


Mit Mühe habe ich den Bauern d6 gerade noch verteidigt, aber die Aufstellung meiner Figuren wirkt eher lächerlich. 29.Db6-e3 Lf5-e6 30.Sb5-c3 Df6-f4 31.De3xf4 e5xf4 32.Sc3xe4 Weiß hat seinen Bauern zurück, und bei mir hat sich wenig verbessert. Keine vielversprechende Lage gegen einen Großmeister. 32...h7-h6 33.h3-h4 Sc8-b6 34.Td2-d4 f4-f3 35.Le2-f1 Td8-c8?


36.Se4xd6! Ach, verdammt! Hier beabsichtigte ich natürlich, dafür auf c4 zu schlagen, was aber auf dem zweiten Blick einfach eine Figur kostet. 36...Se8xd6 37.Td4xd6 Kg8-f7 38.c4-c5 Td7xd6 39.Td1xd6 Sb6-d7 40.Lf1-a6 Tc8-c7 41.c5-c6 Sd7-e5 42.La6-b5 Und Schluß. Der c-Bauer ist einfach zu stark, es spielt kaum eine Rolle, dass Schwarz g4 gewinnen kann. 42...Tc7-a7 43.La3-b2 Se5xg4 44.Td6-d3 Ta7-a5 45.Td3xf3+ Kf7-g8 46.Lb5-f1 h6-h5 47.c6-c7 Ta5-c5 48.Tf3-c3 Tc5xc3 49.Lb2xc3 Le6-c8 50.Lf1-h3 Der nächste Zug ist f3, also 1-0

Unnötig, unglücklich, diese Niederlage? Ich weiß nicht, Van Wely spielte einfach stark und mir unterliefen mehrere Fehler, mit denen ich in der Oberliga wahrscheinlich noch weggekommen wäre, aber hier nicht.

Alex freute sich sehr auf seine Partie gegen den ehemaligen WM-Kandidaten und "Best of the West" Jan Timman. Mittlerweile hat dieser graue Haare und er spielt nicht mehr so oft, aber sein Positionsgefühl bleibt Weltklasse.

Alexander Markgraf – Jan Timman


Ein kritischer Moment. Nach aufwändigem Manövrieren hat Timman f5 durchgesetzt, was Alex schon lange befürchtet hatte. In der Analyse bezweifelten Amir und ich, dass Schwarz nach 22.f3 seine Bauern am Königflügel erfolgreich hervorrücken kann. Im Vergleich zu ähnlichen Strukturen, welche aus der königsindischen Eröffnung entstehen können, fehlt dem Nachziehenden nämlich der weißfarbige Läufer. Dagegen steht der Se6 auf einem ausgezeichnetem Feld, das im Königsindisch wegen des weißen Bauern d5 meistens nicht verfügbar ist. Nachdem wir einige Patzervarianten versucht hatten, mussten wir doch zugeben, dass die schwarze Initiative ziemlich gefährlich ist. Deswegen entschloss Alex sich zu einer radikalen Maßnahme: 22.f2-f4!? e5xf4 Die Schattenseite der weißen Idee lag eher in 22... Sxd5! 23.exd5 Sxf4 24.Lxf4 exf4. Alex hoffte in dieser Variante seinen Springer nach e6 überführen zu können, aber wichtiger ist wohl, dass Schwarz mit Lg7 und De3+ oder De4 schnell aktiv werden kann und am Königflügel zwei Mehrbauern hat. 23.e4xf5 Tf7xf5? Nach diesem Zug stand Timman zufrieden auf und begann eine Runde durch den mit nur vier Brettern sehr überschaubaren Spielsaal. Nach einer halben Runde kam Van Wely an diesem Brett vorbei und zog eine dermaßen seltsame Miene, dass dem Timman sofort einfiel, was er soeben übersehen hatte. 24.Dc2xf5! Natürlich! Solche Einsteller würde man von einem ehemaligen Weltspitzenspieler nicht erwarten - wenn man nicht wüsste, dass Timman wegen seiner "Blunders" berüchtigt ist (oder zumindest war). 24...Se7xf5 25.Sd5-f6+ Kg8-f7 26.Sf6xe8 Ta8xe8


Okay, das ist eine Qualität, aber wie weiter? Die weißen Figuren sind passiv und Schwarz hat eine schöne Mehrheit am Königsflügel. Timman meinte, dass er hier genug Kompensation hat, worauf Loek van Wely zurecht bemerkte "Dann hast du Glück gehabt, Jan!" 27.Ta1-a2 Lf8-g7 28.Td1-d3 Lg7-e5 Wie es genau weiter ging, habe ich nicht gesehen. Ich erinnere mich vor allem daran, dass Alex überhaupt keinen guten Plan finden konnte und leider langsam aber sicher zerquetscht wurde. 0 - 1

Am dritten Brett begegnete Henning einen mir sehr bekannten Spieler, Erik van den Doel. Er ist aus demselben Jahrgang wie ich; bereits 1991 teilten wir den zweiten Platz bei der niederländischen Jugendmeisterschaft unter 12 Jahren. Von der Partie habe ich nur wenig mitgekriegt. Lange Zeit schien sie mir ausgeglichen, aber irgendwie manövrierte Van den Doel besser. Angeblich übersah Henning einen Trick, wodurch er einen Bauer verlor. Als ich mich nach der Zeitnotphase die Stellung ansah war der Gewinn für Van den Doel nur eine Sache der Zeit.

Damit war der Kampf entschieden, und dem Amir blieb die Aufgabe, um unsere sprichwörtliche Ehre zu retten. Mit einiger Hilfe des Gegners schaffte er das wunderbar:

Arkadij Rotstein – Amir Rezasade


Offensichtlich ist die Eröffnung besser ausgegangen für Weiß. Er beherrscht das Zentrum, und die schwarzen Figuren stehen verletzbar vor ihren Bauern. Aber Amir hat Gegenspiel vorbereitet: 18...f7-f5 19.Sf3-e5 Ld6xe5 20.d4xe5 f5-f4! Schließt die lange Diagonale (endgültig?) und verschafft dem Schwarzen Angriffschancen. 21.Sc3-b5! Sauber gespielt, nach dem Abtausch der Läufer wird noch klarer, wie lahm der Sb6 ist. 21...Lc6xb5 22.De2xb5 De8-h5! Gegenangriff statt des deprimierenden Endspiels nach Dametausch! Ein wenig Hilfe des Gegners braucht Schwarz jedoch wohl. 23.Ta1-c1 Während des Essens analysierten wir die Variante 23.b4! axb4 24.a5 Sc8 25.gxf4 wobei Schwarz meistens den Kürzeren zog. 23...Tf8-f7 24.b3-b4 Doch die richtige Idee! Warum zuerst Tc1? Keine Ahnung. 24...Ta8-f8 25.b4xa5 Sb6-c8


Das sieht schon mal besser aus, als mit dem Turm noch auf a8. Amir zeigte uns, dass er nach 26.Dxb7 mit fxg3 27.fxg3 Tf2 einen gewinnenden Angriff einsetzen würde. Mein Computerprogramm ist dennoch unbeeindruckt und weist darauf hin, dass Weiß nach 28.Db3! zwei Mehrbauern hat und wegen der Möglichkeit Db3xe6-h3 nicht matt wird. 26.Td1-d2 c7-c6 27.Db5-c5 Sc8-e7 28.Dc5-d6 Se7-g6 29.Dd6xe6?! (a6!) 29...Sg6xe5 Surprise, surprise, der Krüppel von b6 ist plötzlich ein Riese auf e5! 30.g3-g4? Einige Großmeister sind unnachvollziehbar, Carlsen, Shirov, Nepomniachtchi... Auch GM Rotstein ist ein Original, welcher anderer Spieler würde hier auf g4 kommen? 30...Se5xg4 31.Lg2-f3 Dh5xh2+ 32.Kg1-f1 Obwohl er in Zeitnot war, verzichtete Amir hier auf dem Schachgebot 32...Dh3+, weil nach 33.Ke2 der Springer gefesselt ist. Aber manche Fesselung enthält das Potenzial für einen Abzugsangriff, hier 33... Sxf2! und gewinnt. 32...Sg4-f6 33.Kf1-e2 Tf8-e8


34.De6xe8+ Pass auf, Damentausch für Fortgeschrittene! 34...Sf6xe8 35.Tc1-h1 Dh2xh1 36.Lf3xh1 Tf7-e7 Dass Weiß einen Bauern weniger hat im Endspiel ist vielleicht noch nicht so schlimm, aber was macht er mit dem Lh1? 37.Ke2-f3 g7-g5 38.Kf3-g4 Kg8-f7 39.e4-e5?! Es hat gedauert, aber jetzt scheint es Weiß doch noch zu gelingen, seinen Läufer zu aktivieren. 39...Te7xe5 40.Td2-d7+ Kf7-g6 41.Td7xb7 Se8-f6+ 42.Kg4-h3 g5-g4+ 43.Kh3-h2 Te5-h5+ 44.Kh2-g1 f4-f3!


Das war es mit der Aktivierung des Läufers, weiter als f3 ist er niemals gekommen, und das wird er auch nicht mehr schaffen. 45.Tb7-a7 Th5-c5 46.Ta7-a8 Tc5-c4 47.a5-a6 Tc4xa4 48.Kg1-h2 Kg6-h5 49.Ta8-a7 Kh5-h4 50.Ta7-a8 Sf6-h5 51.Ta8-h8 Ta4xa6 52.Th8xh6 Ta6-a2 53.Kh2-g1 Ta2-a1+ 54.Kg1-h2 Ta1-f1 55.Th6xc6 Tf1xf2+ 56.Kh2-g1 Kh4-g3 Komplett bis zum Matt wollte Rotstein es sich doch nicht mehr zeigen lassen. Der erste Großmeisterskalp für Amir! 0 - 1

SC Tempo Göttingen-SG Porz1 : 3
Maarten Solleveld-Loek van Wely0 : 1
Alexander Markgraf-Jan Timman0 : 1
Henning Silber-Erik van den Doel0 : 1
Amir Rezasade-Arkadij Rotstein1 : 0


Maarten Solleveld