Viele Stunden lang konzentriert am Brett sitzen

Beim Schach entscheidet nicht nur die überlegene Strategie, sondern auch die bessere Physis

Tempo Göttingen spielt in der zweiten Liga

Sie müssen nicht schnell laufen, weit werfen oder hart schießen können. Ein starker Bizeps, kräftige Waden oder eine stabile Nackenmuskulatur stellt für sie keinerlei Vorteil dar. Im Grunde ist ihre körperliche Betätigung gleich null, sieht man mal von der Handbewegung ab, derer es bedarf, eine Figur von einem Feld auf das andere zu setzen. Und dennoch sehen sie sich als Sportler und werden auch als solche anerkannt.

Von wem die Rede ist? Von den Schachsportlern. Ja, Sportlern, nicht Spielern. Denn bereits in den 1950er Jahren wurde der Deutsche Schachbund Mitglied im Deutschen Sportbund. Der hatte nämlich erkannt, dass die Auseinandersetzung auf den 64 Feldern durchaus kein Zeitvertreib wie Skat oder Backgammon, sondern ernsthafter Wettkampf ist. Dazu passt, dass die Spieler der Weltelite allesamt keine gesetzteren Herren, sondern Männer in der Altersspanne von 20 bis 40 sind — Magnus Carlsen, der derzeitige Weltmeister, ist 23. „Während einer Partie nimmt man Gewicht ab, und nach der Partie ist man nicht nur mental, sondern auch körperlich ausgelaugt“, berichtet dann auch Golo Petzold, Assistenzarzt am Klinikum und Mitglied der ersten Mannschaft von Tempo Göttingen, die letztes Jahr die Oberliga Nord gewann und diese Saison in der zweiten Liga antritt.

Dort läuft es erwartungsgemäß nicht so gut, Tempo steckt tief im Abstiegskampf und wird die Liga voraussichtlich nicht halten. Das war aber auch abzusehen, so Petzold: „Unsere persönlichen Wertungszahlen sind im Durchschnitt niedriger als die unserer Gegner, und mit Alexander Markgraf hat uns unser erstes Brett in Richtung Bremen verlassen, um für Werder in der Bundesliga zu spielen.“

Erstes Brett bedeutet die Spitzenposition in einem Mannschaftskampf. Das heißt, der beste Spieler spielt am ersten Brett, der zweitbeste am zweiten, etc., bis runter zu Brett acht. „Man könnte auch taktisch aufstellen“, erläutert Petzold, „aber das tun wir nicht: Bei uns geht es strikt nach Spielstärke.“

Natürlich darf bei einem Mannschaftkampf kein Spieler dem anderen helfen, das würde vom Schiedsrichter mit sofortigem Partieverlust und möglicherweise vom Verband mit einer Sperre bestraft. Aber ein Teamsport ist Schach dennoch, wie Stefan Liebig erläutert, „denn wenn die eigene Mannschaft führt, spielt man schon mal etwas vorsichtiger, und wenn es 3:4 steht und nur noch eine Partie läuft, nämlich die eigene, wird man jedes Risiko eingehen, um doch noch zu gewinnen um auf diese Weise seinem Team ein Unentschieden zu sichern.“

Liebig, der in der zweiten Mannschaft von Tempo spielt, erklärt auch, wie man sich verhält, wenn man einen Fehler gemacht hat: „Ein Pokerface aufsetzen und so tun, als wenn alles in Ordnung wäre.“ Und wenn das Handy klingelt: „Dann ärgert man sich, dass man vergessen hat, es auszuschalten, denn ein Handyklingeln bedeutet den sofortigen Partieverlust.“

Wichtig bei einem Mannschaftskampf ist die Vorbereitung auf den Gegner. „In speziellen Schachdatenbanken sind seine Partien gespeichert, und die spielt man nach und analysiert sie, um herauszufinden, was seine Stärken und Schwächen sind“, erklärt Petzold. Und weil eine Partie in der Regel mindestens vier Stunden, häufig auch noch länger dauert, ist es ratsam, regelmäßig zu joggen, zu schwimmen oder ins Sport-Studio zu gehen, weil die Konzentration nur bei ausreichender physischer Fitness aufrecht zu erhalten ist.

Hauke Rudolph